Auferweckung der Toten

Ez 37, 1 Die Hand des HERRN war auf mir, und durch den Geist des HERRN führte er mich hinaus, und mitten in der Ebene liess er mich nieder, und diese war voller Gebeine. 2 Und er führte mich an ihnen vorbei, rings um sie herum, und sieh, in der Ebene waren sehr viele, und sieh, sie waren völlig vertrocknet. 3 Und er sprach zu mir: Du Mensch, werden diese Gebeine wieder lebendig werden? Und ich sprach: Herr, HERR, du weisst es.
4 Und er sprach zu mir: Weissage über diese Gebeine und sprich zu ihnen: Ihr vertrockneten Gebeine, hört das Wort des HERRN! 5 So spricht Gott der HERR, zu diesen Gebeinen: Seht, ich lasse Geist in euch kommen, und ihr werdet leben. 6 Und ich gebe euch Sehnen und lasse Fleisch wachsen an euch, und ich überziehe euch mit Haut und lege Geist in euch, und ihr werdet leben, und ihr werdet erkennen, dass ich der HERR bin. 7 Und ich weissagte, wie es mir geboten worden war, und als ich geweissagt hatte, war da ein Lärmen, und sieh, ein Beben, und Gebeine rückten aneinander, eines an das andere. 8 Und ich schaute hin, und sieh, auf ihnen waren Sehnen, und Fleisch war gewachsen, und darüber zog er Haut, Geist aber war nicht in ihnen.

9 Und er sprach zu mir: Weissage über den Geist, weissage, Mensch, und sprich zum Geist: So spricht Gott der HERR: Geist, komm herbei von den vier Winden und hauche diese Getöteten an, damit sie leben. 10 Und ich weissagte, wie er es mir geboten hatte, und der Geist kam in sie, und sie wurden lebendig und stellten sich auf ihre Füsse, ein sehr, sehr grosses Heer. 11 Und er sprach zu mir: Du Mensch, diese Gebeine sind das ganze Haus Israel! Sieh, sie sagen: Unsere Gebeine sind vertrocknet, und unsere Hoffnung ist dahin. Wir sind abgeschnitten!
12 Darum weissage und sprich zu ihnen: So spricht Gott der HERR: Seht, ich öffne eure Gräber, und ich lasse euch, mein Volk, aus euren Gräbern steigen und bringe euch auf Israels Boden. 13 Und ihr werdet erkennen, dass ich der HERR bin, wenn ich eure Gräber öffne und euch, mein Volk, aus euren Gräbern steigen lasse. 14 Und ich werde meinen Geist in euch legen, und ihr werdet leben, und ich werde euch auf euren Boden bringen, und ihr werdet erkennen, dass ich der HERR bin. Ich habe gesprochen, und ich werde es tun! Spruch des HERRN.

Diese Vision von der Auferweckung der Toten überrascht auf mehrfache Weise:
Zum einen erwarten die Wenigsten eine so anschauliche Auferweckungsbeschreibung im Alten Testament.
Zum anderen bekommt hier ein Mensch, der Profet Ezechiel, von Gott den Auftrag, diesen Auferweckungsprozess in die Wege zu leiten, in der er „weissagen“ soll, also die Auferweckung aus dem Tod zusprechen und verkündigen soll. Diese menschliche Tat aufgrund der göttlichen Bevollmächtigung genügt, um eine Kehrwende in das volle Leben zu bewirken. Doch dieser Prozess geschieht nicht auf einmal und nicht „am Stück“, sondern in drei Schritten, die jeweils mit dem Auftrag beginnen, das neue Leben anzusagen und damit in Gang zu bringen. Wie im ersten Schöpfungsbericht genügt dabei das Wort, um Leben zu schaffen.
Des weiteren wird für jeden der Verlebendigungs-Schritte die göttliche Geistkraft benötigt, beansprucht und in Pflicht genommen (Vv 6,9,14).
Und dann wird diese Auferweckung nicht als eine individuell-persönliche Transformation verstanden, sondern sie ist eine Friedensvision für das ganze Volk, das kriegsgeschädigt, ausgebeutet und deportiert die Orientierung und Identität verloren hatte: von Gott getrennt fühlt sich die Gemeinschaft der nach Babylon deportierten Kriegsgefangenen wie tot.
Nun könnte man erwarten, dass die Kriegsgefangenen zu Gott beten und ihn fragen, ob ein Ende dieses Elends absehbar sei. Doch Tote können mit Gott nicht in Beziehung treten und darum stellt Gott selbst diese Frage an „den Menschen“ (V3), die der Mensch jedoch nicht beantworten kann und an Gott zurückgibt: „Du weisst es“. Es ist die Frage, ob Frieden werden kann, die Gott hier stellt, und es ist die Frage an die Menschen, ob sie Frieden machen und erhalten können. Doch sie müssen dies nicht ohne göttliche Unterstützung tun: der Mensch tut, was Gott sagt und so wird die zerstörte, verstörte und verstörende Welt neu geschaffen als Ort eines lebendigen Friedens.

Die Frage nach der Auferstehung

Kann der lebendige Gott auch im Totenreich anwesend tätig sein?

Diese Frage beschäftigte die Menschen vor etwas mehr als zweitausend Jahren. In der hebräischen Bibel finden wir Hinweise darauf, dass das Totenreich ein gottferner Ort ist, an dem keine Beziehung zum Gott der Lebendigen mehr besteht. Deshalb entstand erst relativ spät die Vorstellung von der Auferstehung von den Toten.
Es wird allgemein angenommen, dass die Martyriumserfahrungen im Makkabäeraufstand im 2. Jahrhundert vor Christus das Nachdenken über das Dasein nach dem Tod intensivierten. Die im Diesseits erfahrene Ungerechtigkeit liess sich nicht mehr in das Bild des gerechten Gottes integrieren. In den Reden der sieben Märtyrerbrüder und ihrer Mutter in 2 Makk 7* wird der Glaube an die Auferstehung nach und nach entfaltet:
– Gott ist ein Gott des Erbarmens (7,6); er straft zwar sein Volk, wenn es sündigt, durch fremde Gewaltherrscher (18; 32), aber das Leiden für ihn und seine Gebote wird nicht sinnlos sein (38).
– Gott wird diejenigen, die wegen der Treue zur Tora gestorben sind, zu einem neuen, ewigen Leben auferwecken (9b: 14; 36a; 37a). Die Treue zu Gott steht in jedem Fall über dem Leiden und dem Tod.
– Gott, der den Körper geschaffen hat, kann denen, die um seinetwillen sterben, den Körper auch wieder geben (10). Gott ist derjenige, der den Menschen geschaffen hat und immer je neu schafft. „Er kennt die Entstehung aller Dinge“. Diese Schöpferkraft wird auch in Zukunft wirkmächtig sein (22-23). Gott hat die Macht, den durch Menschen zugefügten Tod zu überwin­den, wie er aus dem Nichts die Welt schaffen kann (28-29). Dieses Überwinden des Todes wird als Neuschöpfung verstanden.
Die­ses Wiedererschaffen des Körpers meint nicht den materiell selben Leib. Auferstehung wird hier in Analogie zur Erschaf­fung des Menschen bzw. zu seinem Werden im Mutterschoss verstan­den (7,22ff). Das heisst, Gott, der den Menschen vollkommen geschaffen hat, kann ihm den zerstörten Körper wieder neu erschaffen. Er ist derjenige, der im Tohuwabohu Neues schafft. Wie auch immer diese Neuschöpfung sein wird.
Die Erfahrung von Willkür und Gewalt macht ein Nachdenken über die Würde des Menschen und über Gerechtigkeit notwendig und gibt Hoffnung.
Die Gefahr bei der Verbindung der Auferstehung mit dem Martyrium ist die Vernachlässigung des Kampfes gegen Ungerechtigkeit, Leiden und Krieg in dieser Welt. Es wäre ein Missver­ständnis zu meinen, Gott hätte Freude am Martyrium und würde es im Jenseits mit der Auferstehung belohnen.  Das Leiden und das Unrecht werden auch in den Makkabäerbüchern mit keiner Silbe gerecht­fertigt. Es wird lediglich der verzweifelte Versuch unternommen, angesichts der unwürdigen Behandlung durch den Herrscher die eigene Würde zu bewahren.
Die Auferstehungshoffnung ist also eine Hoffnung der Unterdrückten, Leidenden und Rechtlosen. Aus dem Mund der Mächtigen und Gewaltbereiten wird sie zur zynischen Vertröstung. Ausübung von politischer Macht muss immer gekoppelt sein an ge­rechtes Handeln. Die Mächtigen haben die Pflicht dafür zu sorgen, dass Auferstehung – Aufstehen, aufrechter Gang, Gerechtigkeit und Schutz des Lebens –  schon im Diesseits Wirklichkeit ist.

*Die Makkabäerbücher gehören zu den sogenannten deuterokanonischen Schriften oder Apokryphen des Alten Testaments. Es gibt aber Bibelausgaben, die diese Schriften ebenfalls abdrucken, so Ausgabe 2019 der Zürcher Bibel.
Am 20. Januar 2019 wird die Bibel im Rahmen eines ökumenischen Festanlasses zum 500-Jahr-Jubiläum der Reformation vorgestellt.
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Die Bäume klatschen in die Hände

Jes 55, 12 Denn mit Freude werdet ihr ausziehen, und in Frieden werdet ihr geleitet. Vor euch werden die Berge und die Hügel in Jubel ausbrechen, und alle Bäume des Feldes werden in die Hände klatschen.

Sehen Sie dieses vergnügte Bild auch plastisch vor Ihrem inneren Auge, wie die Bäume ihre Äste und Zweige beifällig zusammenschlagen in festlicher Freude statt sturmgebeutelt, jubelnd eine Allee bildend für frohe Tänze?
Stehen die Bäume für Sie im vollen Blust oder in hellem, frischem, zartem Frühlingsgrün? Oder doch eher schwer voll reifer Früchte?
Sind es eher Olivenbäume mit ihren dicken Stämmen und den silbernschimmernden Blättern oder eher Akazien mit ihren schattenspendenden Schirmkronen oder ein Johannisbrotbaum mit seinen dunklen, langen Früchten, die im Wind flattern oder…?
Das Bild gehört zu einer heilvollen Friedensvision. Auf Zeiten des Schreckens wird eine so vollkommene Friedenszeit angekündigt, dass selbst die vegetative und geologische Schöpfung darüber in Freudentaumel verzückt wird.
Vielleicht beginnt Frieden ja wirklich so: mit starken, heilvollen Bildern für ausnahmslos die ganze Welt. Und wo sich solche Bilder in der Gemeinschaft mit anderen entfalten, sind sie der Beginn einer neuen, freudvollen und friedlichen Wirklichkeit…

Schabbat und Sonntag in der Reformation

Seit Kaiser Konstantin im vierten Jahrhundert den Sonntag zum christlichen Feiertag erklärte, wird in den Kirchen darüber nachgedacht, wie dieser Tag zu feiern ist. Das Wissen darum, dass die Schabbatgebote zum siebten und nicht zum ersten Tag der Woche gehören, ging dabei nie verloren. Die Diskussionen in der frühen Kirche rund um die Sonntagsruhe sind daher von einem Pragmatismus geprägt, der meist auf die Ermöglichung des Gottesdienstbesuchs für alle Gemeindeglieder ausgerichtet war. In der Reformationszeit wird diese Diskussion nochmals aufgerollt, weil einerseits das «Zurück zu den Quellen» die Schabbatgebote wieder ins Bewusstsein hob, andererseits die historisch gewachsene Sonntagsruhe als gesellschaftliche Übereinkunft nicht einfach umgestürzt werden konnte. Interessant ist, dass die Wittenberger, Genfer und Zürcher Reformatoren je zu unterschiedlichen Stellungsnahmen kamen:
Nach Martin Luther (1529, „Deutsch Katechismus“, heute „Grosser Katechismus“) gilt das Sabbatgebot allein den Juden, „dass sie sollten von groben Werken still stehen und ruhen“. Die Christen sind frei von festgelegten Zeiten, Feiertage sind allerdings nötig für den „gemeinen Haufen, Knechte und Mägde, so die ganze Woche ihrer Arbeit und ihres Gewerbes gewartet, dass sie sich auch einen Tag einziehen zu ruhen und zu erquicken“. Weil dieser Ruhetag von alters her der Sonntag ist, soll es dabei bleiben, damit „niemand durch unnötige Neuerung eine Unordnung mache“.
Calvin löst faktisch sowohl Sabbat wie den Sonntag auf. Für ihn zählt nur, dass die Zusammenkunft möglich ist und Ordnung herrscht: „Die Alten haben den Herrntag, wie wir ihn nennen, mit voller Absicht an die Stelle des Sabbats gesetzt. Denn die wahre Ruhe, die der alte Sabbat vorbildet, ist ja in der Auferstehung des Herrn zum Ziel und zur Erfüllung gelangt; […] Übrigens ist mir die Siebenzahl nicht so wichtig, dass ich die Kirche zwingen würde, sie anzuwenden; ich will auch keine Gemeinde verdammen, die zu ihren Zusammenkünften andere Tage wählt, wenn es nur ohne Aberglauben geschieht. Den vermeidet man am besten, wenn man die Feiertage ausschliesslich der Aufrechterhaltung von Zucht und rechter Ordnung dienen lässt.“ (Institutio II, 8, 34)
Ähnlich argumentiert das 1566 veröffentlichte und für die ganze Schweiz gültige zweite Helvetische Bekenntnis:
«XXIV. KAPITEL: DIE FEIERTAGE, DAS FASTEN UND DIE AUSWAHL DER SPEISEN:
Obwohl die Religion an keine Zeit gebunden ist, so kann sie doch nicht ohne rechte Einteilung oder Ordnung der Zeit gepflanzt und geübt werden. Deshalb wählte jede Gemeinde für sich eine bestimmte Zeit zum öffentlichen Gebet, zur Predigt des Evangeliums und zur Feier der Sakramente. Es ist aber nicht jedem erlaubt, nach Belieben diese Ordnung der Gemeinde umzustürzen. Und wenn keine rechte Muße zur Ausübung der äußeren Glaubenspflichten eingeräumt wird, lassen sich die Menschen bestimmt durch ihre Geschäfte davon abziehen.“ Heinrich Bullinger Das Zweite Helvetische Bekenntnis KapXXIV
Heutige Diskussionen zur Sonntagsruhe kommen ohne den Rückbezug auf die Bibel oder auf die Bedürfnisse von Kirchgemeinden aus. Im Vordergrund steht die Frage, ob sich unsere Gesellschaft noch darüber einig ist, dass es sinnvoll ist, nach sechs Tagen einen Tag zu haben, an dem die Geschäftigkeit abnimmt. Dabei stehen sich bis heute die schon in der Reformation formulierte Freiheit zur Ruhe, die eine regelnde Ordnung  braucht, und die Freiheit, zu tun und zu lassen, was man will, als Gegensätze gegenüber.

Zahlensymbolik

Es gibt eine alte Tradition, den Zahlen nicht nur einen mathematischen, sondern auch einen symbolischen Wert zuzuordnen.

  1. Danach steht die Eins für das All-Eins, die unauflösbare Einheit (Gottes, der gesamten Schöpfung und auch des Menschen, der nicht in Seele, Leib und Körper gespalten werden kann) – graphisch wird die eins als Kreis gezeichnet.
  2. Zwei erinnert an die Dualität von Tag und Nacht, hell und dunkel, heiss und kalt, gut und böse, weiblich und männlich. Graphisch dargestellt durch eine Linie, die zwei Enden hat.
  3. Drei symbolisiert die Dreieinigkeit Gottes und lotet den Raum mit seinen drei Dimensionen aus, dargestellt im Dreieck.
  4. Vier ist die Zahl der Welt mit ihren Himmelsrichtungen, Jahreszeiten, Elementen; jedes Viereck und jede Kreuzform weisen auf die Welt.
  5. Fünf steht für den Menschen mit seinen Sinnen und Organen, Fingern, Zehen und Lebenszeiten; das Pentagramm mit seinen fünf Zacken ist eine Abstraktion des Menschen.
  6. Sechs gilt als Zahl des Kosmos, denn in sechs Tagen schuf Gott die Welt; es ist zugleich die erste zusammengesetzte Zahl, die Einheit, Dualität und Göttlichkeit zusammenbringt. Der Davidstern, der das Göttliche verdoppelt, besteht aus zwei über einander liegenden Dreiecken.
  7. Von nun an werden alle Zahlen als zusammengesetzt ausgelegt und erhalten keine eigene Graphik mehr: Sieben verbindet Gott und Welt: der siebte Schöpfungstag ist der Ruhe und Freude am Schöpfungswerk gewidmet.
    Und 12 ist die Zahl, die Gott, Welt und Mensch verbindet (3+4+5); Stämme Israels, Jünger*innen, bilden jeweils ein Dutzend.

Humoristisch lehnt sich Lied „das Kartenspiel“ wohl an dieses Zahlensymbolik an.

Schabbat

Gen 2,1 Und so wurden vollendet Himmel und Erde und ihr ganzes Heer.  2 Und Gott vollendete am siebten Tag sein Werk, das er gemacht hatte, und er ruhte am siebten Tag von all seinem Werk, das er gemacht hatte. 3 Und Gott segnete den siebten Tag und heiligte ihn, denn an ihm ruhte Gott von all seinem Werk, das er durch sein Tun geschaffen hatte. 4 Dies ist die Geschichte der Entstehung von Himmel und Erde, als sie geschaffen wurden.

Am siebten Tag ruht Gott und bildet so mit seinem Verhalten die Institution des Schabbats ab. Es steht nicht, „Gott hielt den Schabbat“. Der Schabbat ist nichts, was ausserhalb von Gott wäre. Er selbst ist das Ruhen. Ruhen ist ein aktives Tun: Gott segnet und er heiligt den siebten Tag (1 Mose 2,2).
Der Religionsphilosophe Abraham Heschel schreibt zum Schabbat: „Arbeit ist eine Fertigkeit, vollkommene Ruhe aber ist eine Kunst. Sie ist das Ergebnis eines Einklangs von Körper, Geist und Phantasie. Um einen Grad an Vollkommenheit in der Kunst zu erreichen, muß man sich ihrer Ordnung unterwerfen, muß man der Trägheit abschwören. Der siebte Tag ist ein Palast in der Zeit, den wir bauen. Er besteht aus Einfühlsamkeit, Ausdruck der Freude und Suchen nach Ruhe. In seinem Bereich erinnert eine feste Ordnung an die Nähe zur Ewigkeit… Was ist so kostbar, daß es das Herz ergreift? Der Grund ist, daß der siebte Tag eine Goldgrube ist, wo man das kostbare Metall des Geistes finden kann, mit dem man den Palast in der Zeit baut, ein Bereich, in dem der Mensch bei Gott zu Hause ist, ein Bereich, in dem der Mensch bestrebt ist, der Gottesebenbildlichkeit nahezukommen … Die Liebe zum Sabbat ist die Liebe des Menschen für das, was er mit Gott gemeinsam hat. Daß wir den Sabbattag haben, ist ein Hinweis darauf, daß Gott den siebten Tag heiligte.“ (Aus: Abraham Heschel, Der Sabbat – seine Bedeutung für den heutigen Menschen, Neukirchen-Vluyn 1990)
Dieser „Palast in der Zeit“ ist gefüllt von Beziehungsgeschehen. Die biblische Sprache drückt mit den Worten Segnen und Heiligen aus. Die Schabbatgebote im Judentum sind darauf ausgerichtet, dass Beziehungen lebendig bleiben oder erst entstehen können: Der Gottesdienst pflegt die Nähe zum Ewigen, das gemeinsame Essen und Trinken die mitmenschlichen Beziehungen, das Lernen der Tora die geistigen Verbindungen und das Ausruhen das Zuhausesein im eigenen Körper.
Erst mit diesem Tag des Ruhens ist die Schöpfung vollendet.

Genesis 2.0

Seit dem 8. November läuft in den Deutschschweizer Kinos der Dokumentarfilm GENESIS 2.0 von Christian Frei.
Der Film verbindet die Suche nach Mammutüberresten in Sibirien mit Einblicken in ein Labor, in dem versucht wird, aus den Mammutknochen DNA zu isolieren und Mammuts über das Klonverfahren wieder zum Leben zu erwecken.
Frei geht in seinem Film aber über das Klonen von ausgestorbenen Tierarten hinaus, wenn er die neueren Gentechnologie porträtiert und dabei dokumentiert, wie in der Wissenschaftswelt gefragt, gedacht und experimentiert wird. Nachwuchsforscher in Kalifornien und China sind überzeugt, dass sie in Zukunft nicht nur DNA rekonstruieren, sondern auch die Baupläne des Lebens selber schreiben werden.
Der Film deckt die ethischen Fragestellungen rund um die Genforschung auf und skizziert die möglichen negativen Folgen für die Zukunft. «Gottes Wort ist noch nicht perfekt. Aber wenn wir zusammenarbeiten, können wir Gott perfekt machen.» Dieser Satz des chinesischen Wissenschaftlers Yang Huanming lässt einen mit einem mulmigen Gefühl zurück. «Der Traum der perfekten Gesellschaft in der alles Unperfekte, alles Störende, alles ausserhalb der Norm weggemacht wird, das ist purer Faschismus», sagt der Regisseur Frei. Ohne die Wissenschaft grundsätzlich an den Pranger zu stellen, stellt Freis Film die Frage, wo die Grenze des ethisch Vertretbaren erreicht ist.
GENESIS 2.0 Trailer
GENESIS 2.0 Wikipedia
GENESIS 2.0 Swiss Films

Emanzipation

„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit.“ (I.Kant) Der Mensch brauche keine Anleitung, keine Begleitung, um sich seines Verstandes zu bedienen.

Kant hatte dabei offenbar gut gebildete Erwachsene vor Augen, die im Gebrauch des eigenen Verstandes hinreichend ausgebildet worden sind, die also fähig sind, sich ihres Verstandes angemessen zu bedienen. Dazu gehört, unterschiedliche Argumente gegeneinander abzuwägen, sich eine eigene Meinung bilden zu können und sich darüber bewusst zu sein, dass sowohl die Wahrnehmung als auch die Beurteilung bestimmter Umstände, Fakten und Beobachtungen immer subjektiv geprägt und entsprechend konstruiert sind.
Die Fähigkeit bewusst zu wählen, welche Teile der eigenen Biographie in einen Lebenslauf gehören, welche an ein Klassentreffen und welche den Enkelkindern erzählt werden, ist eine Gabe, die mühsam erlernt werden muss. Die Entwicklung dieser Fähigkeit hat viel mit Mündigkeit zu tun. Doch sie gelingt nicht immer gleich gut.
Und nicht nur der Blick auf die eigene Vergangenheit ist subjektiv konstruiert. Auch die Vorstellungen für die eigene Zukunft sind — hoffentlich — nicht starr und absolut, sondern enthalten in sich das Potential der Veränderung.
Für diese Möglichkeit zum Umdenken ist Gott selbst das vielleicht beste Vorbild:
Angesichts der Zerstörung durch die Sintflut verspricht Gott sich selbst, „nie wieder“ (Gen 8,21f) solch ein Unheil heraufzubeschwören. Mit Abraham feilscht er um den Untergang von Sodom (Gen 18,23ff), Jona nimmt Gott übel, dass er seine Meinung und sein Tun überdenken kann (Jona 4)… es gibt in der Bibel viele weitere Beispiele dafür, dass Gott auf den Menschen hört.
Wer mit Gott streiten kann, wer Gott zum Umdenken bewegen kann, ist für Gott ein ernstzunehmendes Gegenüber und gewiss kein Spielball irgendwelcher Abhängigkeiten.
Und zugleich gibt es da eine verbindliche Beziehung, die überhaupt erst die Möglichkeit zur Freiheit schafft: „Fürchte dich nicht, denn ich befreie dich, ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du gehörst zu mir.“ (Jes 43,1)
Diese Freiheit, diese Befreiung von Lebensängsten, muss sich niemand verdienen, erarbeiten oder erkämpfen. Sie ist die Zusage Gottes, dass menschliche Emanzipation im Sinne von Freiheit zu eigenständigem Denken und Handeln von Gott her erwünscht ist. Und diese Zusage gilt jeder Person, wie abhängig, unmündig, dement, eingeschränkt sie auch sein mag.

Mach‘s wie Gott

Machs wie Gott

Gefühlt kenne ich dieses Zitat seit Beginn meiner Studienzeit. Zum ersten Mal sah ich es an eine Hauswand gesprayt. Es hat seither für mich nichts an seiner Aussagekraft eingebüsst. Gerade neulich kam es mir kurz hinter einander gleich zweimal in den Sinn:
Da echauffierte sich in einer Runde jemand darüber, dass die Bibel mit ihren Bildern heute nicht mehr verständlich sei. Statt von Jesus zu reden, würde es vollauf genügen, seine Botschaft der Menschwerdung weiterzugeben; ganz ohne den unverständlichen Ballast. So wird Menschwerdung verstanden als ein Entwicklungsprozess zur Menschlichkeit.
Solche eine Verkürzung der Menschwerdung ist mir persönlich zu wenig, wenn sie sich nicht ausdrücklich auf Gott und sein Bild vom Menschen bezieht: Worauf kann sich denn ein gemeinsames Bild von dem gründen, was Menschlichkeit ist? Was führt die Menschen voll guten Willens zusammen? Eine Weltformel gibt es nicht. Aber ich möchte sagen können, worauf ich mich beziehe: auf die Geburt Gottes als Mensch – schwach, bedürftig, angewiesen – die gerade in ihrer göttlichen Einmaligkeit den Rahmen steckt, in dem sich die Ideale der Menschlichkeit bilden. Ich zumindest will nicht auf die göttliche Seite der Menschlichkeit verzichten.
Wenige Tage später kam das Gespräch in einer ganz anderen Runde auf jene höhere Macht zu sprechen, die angeblich die Geschicke der Menschen schicksalhaft lenkt. Da ging es um eine sehr ferne, nicht fassbare, Schöpfungskraft, die wie ein Perpetuum Mobile immer weiter wirkt, Welt und Weltgeschehen beeinflusst und nicht viel nach dem freien Willen des Einzelnen fragt.
So fremd und fern begegnet der biblische Gott doch nicht! Gott spricht mit den Menschen, hört, begegnet überraschend menschlich, ist in Beziehung. Das klappt für mich gerade dadurch, dass Gott in Jesus Christus menschlich ganz nah gekommen ist. Nicht als Superheld, doch zur Nachfolge geeignet. Ich zumindest will nicht auf die menschliche Seite Gottes verzichten.
Beide Seiten stecken in dem kleinen Satz: „Mach’s wie Gott: werde Mensch!“

Was ist der Mensch?

Ps 8, 5  Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst? 6 Du hast ihn wenig geringer gemacht als Gott, mit Ehre und Hoheit hast du ihn gekrönt.

Fassungslos staunend nimmt ein Mensch sich hier selbst als Teil von einem grösseren Ganzen wahr: in jedem Menschen zeigt sich die ganze Gattung, die Gott sehr ähnlich und darum sehr verbunden und nah ist. Es geht bei diesem Staunen weniger um das Individuell-Einmalige als um das grundlegend Verbindende, um „den Mensch“ schlechthin, zu dem jede einzelne Person sich zählen kann. Zu entdecken, wie sehr „der Mensch“ Gott ähnelt, lässt staunen – und über die lange Geschichte zwischen Gott und Menschen nachdenken.
Unsere menschliche Erfahrung kennt Ähnlichkeiten: Manche Paare werden sich im Lauf ihrer gemeinsamen Zeit unbewusst immer ähnlicher. Kleinkinder imitieren die Mimik der Bezugspersonen, üben Grimassen ein, schneiden Faxen, lernen über die Nachahmung.
Anders ist es mit Gott: Der Mensch muss die Ähnlichkeit nicht herstellen, vielmehr ist sie von Gott her bereits bedingungslos verliehen. Der Mensch ist eine Projektion Gottes, die von Gott selbst realisiert worden ist (und nicht umgekehrt die weitverbreitete Annahme, Gott sei eine Projektion des Menschen!) und um die Gott sich kümmert. So entsteht eine Beziehung, die einen lebendigen Austausch auf Augenhöhe ermöglicht. Zu dem, was nur „wenig geringer“ ist, muss Gott sich nicht herablassen und hinunterbeugen, sondern stattet das Gegenüber mit den herrschaftlichen und sogar göttlichen Würdezeichen Ehre und Hoheit aus.
In jedem Mensch begegnet Gott – und doch ist Gott immer noch mehr: „Überschuss des Göttlichen“ hat Schüssler Fiorenza das genannt. Und beides ist erstaunlich: dass der Mensch so nah an der Göttlichkeit ist wie auch, dass Gott immer noch mehr ist.
Darin liegt auch eine Verpflichtung: sich dieser Gott-Ebenbildlichkeit würdig zu erweisen.

Hinweis auf Playing Arts „Kommastrich“ am 1.12.2018; 10-16 Uhr (Anmeldung nötig!).