Feuer

Schwarzes und weisses Feuer

Seit gestern Abend wird in den Synagogen weltweit das Wochenfest, Schavuoth, gefeiert. Neben dem Erntedank für die Erstlingsfrüchte wird an diesem Fest besonders das Geschenk der Tora, wie sie am Sinai gegeben wurde, gewürdigt.

Gotteserscheinungen sind in der Bibel von verschiedenen Naturphänomenen begleitet. Unter anderem wird berichtet, dass die Gotteserscheinung am Sinai neben Sturm, Wolken und Erdbeben auch wie ein Feuer waren: «Die Erscheinung der Herrlichkeit des Herrn aber war vor den Augen der Israeliten wie ein verzehrendes Feuer auf dem Gipfel des Berges» (Ex 24,17). Doch nicht nur die Erscheinung Gottes ist wie Feuer, auch das Erschienene, die Tora, wird im Talmud als Feuer wahrgenommen:

„Die Tora, die der Heilige, gepriesen sei er, gab: das Pergament, auf dem sie geschrieben war, war weißes Feuer. Die Buchstaben, die darauf geschrieben wurden, waren schwarzes Feuer. Sie ist Feuer, umgeben von Feuer, geschrieben in Feuer, und gegeben in Feuer, [gemäß dem Schriftvers 5. Mose 33,2:] mit flammendem Feuer in seiner rechten Hand.“ (Jerusalemer Talmud, Traktat Sota 8, 3, 37a)

Die jüdische Mystik hat diesen Gedanken weiterentwickelt: Zwischen den Buchstaben, dem schwarzen Feuer, sind die Zwischenräume, gewissermassen das «Zwischen-den-Zeilen», das weisse Feuer. Im übertragenen Sinn heisst dies, dass in der Tora stets auch zwischen den Zeilen gelesen, ausgelegt und interpretiert werden soll, damit das schwarze Feuer der Tora immer wieder einen neuen, vom weissen Feuer befeuerten Sinn ergibt. Im Laufe der Jahrhunderte hat sich die Tradition herausgebildet, an Schavuoth nach dem Vorabendgottesdienst die ganze Nacht hindurch Tora zu lernen – eine ganze Nacht lang tanzen mit dem schwarzen und weissen Feuer bis beim Tagesanbruch das Schma Israel gesagt wird.

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